BK - nichtoffener Realisierungswettbewerb mit Ideenteil zur Brenzkirche in Stuttgart
Auslobung
Evangelische Kirchengemeinde Stuttgart
Team
Matthes Krumbe, Alina Gold und Sascha Bauer
Betreuung und Koordination
sanwaldstraub ARCHITEKTEN

HOLY SHIFT – Erbe der Zukunft

 

Die kritische Auseinandersetzung mit alten Bedeutungen und ein Hinzufügen neuer Interpretationen als aktive und persönliche Aneignung von Geschichte und (Neu-) Verhandlung kulturellen Erbes ist immanenter Teil des Wiederauflebens der Weißenhofsiedlung zur IBA2027 in Stuttgart.

Im Zuge der Denkmalvermittlung mit internationaler Tragweite hinterfragen wir das Denkmal Brenzkirche im Sinne der Critical Heritage Studies, um die Bedeutung und den Wert dieses Denkmals unter Einbezug vieler Perspektiven neu zu verhandeln. Es ist ein aktiver Prozess der Auseinandersetzung unter der Frage, wie diese aus heutiger gesellschaftlicher und machtkritischer Sicht im Rahmen der transkulturellen Bildung gelesen werden kann.Die Brenzkirche ist ein bestehendes Objekt mit fortlaufender und sich ständig wandelnder Ausprägung von Ideologie und Programmatik, und äußert dies auch in ihrer äußeren Erscheinung.

 

Die Brenzkirche benötigt Schutz und Pflege für den Erhalt dieser unterschiedlichen Schichten und Überlagerungen und soll diese selbstbewusst zeigen. Der „shift“ als Verschiebung, Umstellung, Umschaltung oder des Wechsels ist Leitgedanke unseres Entwurfes. Dabei bleiben bewusst die zahlreichen Umbauten, Transformationen und Aneignungen sichtbar, um das kulturelle Erbe über die gesamte Zeitspanne seit der Entstehung zu zeigen und Neues zukunftsfähig zu gestalten. Denn die mit der Brenzkirche verbundenen Erzählungen sind nicht mehr selbstverständlich von einer an die nächste Generation übertragbar, sondern kumulieren sich um vielschichtige, mannigfaltige und ambivalente Narrative.

Die vorwiegend an rationalen, fachwissenschaftlichen Kriterien ausgerichtete Denkmalvermittlung wird im Sinne der Multiperspektivität im Rahmen der partizipativen Denkmalpflege aufgeweitet. Das Gebäude wird zur Unterstützung selektiver baulicher Eingriffe und räumlicher Ergänzungen für eine zukunftsfähige und wandelbare Außenwirkung überarbeitet.

Die emotionale und ästhetische Dimension erhält hier einen eindeutigen Vorzug im Sinne des Stimmungswertes, der Erzählkraft, dem Vertrautheitswert, dem Identifikationswert, dem Erlebniswert oder dem Symbolwert der städtebaulich sehr prägnant platzierten Brenzkirche am Weißenhof.

 

Die Brenzkirche als offenes und gemeinsames Shared Heritage, hat demnach vielfältige Potenziale, sich konstruktiv in die gegenwärtige Gesellschaft einzubringen. Der Bestand bleibt Zeuge seiner Erbauungszeit und seiner Überformung, neue Eingriffe bleiben unter einer gemeinschaftlich erarbeiteten Programmatik auch zu einem späteren Zeitpunkt räumlich ablesbar. Ein gemeinschaftliches Weiterbauen im Hinblick der zahlreichen Zeitschichten ist eine aktive Einforderung von Umbaukultur.

So verschmelzen die Idee des Gebäudes bei der Erbauung und der vom öffentlichen Interesse geprägte Nutzen über Jahre hinweg zu einer eklektischen Collage aller Zeitschichten. Eine Ablesbarkeit steckt in den Geschichten und durch den Gebrauch erhaltener Details.

 

Eine bewusste Setzung in jeder Zeitspanne dient als Zeitzeuge der Nutzung und des Programms und zeigt sich außen an der kompakten und prägenden Form der Brenzkirche. Eine innere Komplexität schafft Begegnungsorte zur Förderung des interreligiösen und zwischenmenschlichen Dialogs.

 

Die Öffnung der Räume, die programmatische Metamorphose und die baulichen Ergänzungen ermöglichen neue Nutzungspartnerschaften im kirchlich-demokratischen Gemeinwesen der Pluralismusfähigkeit. Der Transformationsgedanke wird zum Evolutionsgedanken umgewidmet und verändert nicht nur das Gebäude, sondern auch das Zusammenleben.

Das Denkmal Brenzkirche wird ein öffentliches, offenes und einladendes Gebäude für unterschiedliche Lebensgefühle und Narrative.

 

i Ströter-Bender, Jutta (2010): Modelle, Materielle Kultur und World Heritage Education. Zur Aktualität von Bildungstraditionen. In: World Heritage Education. Positionen und Diskurse. Hrsg. von Jutta Ströter-Bender. Marburg: Tectum Verlag (=Kontext. Kunst. Kulturelle Bildung. Band 4).

 

ii Birgit Mandel (2022): Zwischen Schutz, Inwertsetzung und partizipativer Neuverhandlung: Ziele und Qualitäten in der Denkmalvermittlung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/zwischen-schutz-inwertsetzung-partizipativer-neuverhandlung-ziele-qualitaeten

 

iii Euler-Rolle, Bernd (2012): Verständnis, Verheißung oder Verlustangst. Vermittlung im Widerstreit der Denkmalwerte. In: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz, Bd. 82, Tagungsdokumentation Kommunizieren, Partizipieren. Neue Wege der Denkmalvermittlung, 49-57.